1.1 Die Abreise „nie wieder nie sagen“

Es ist ein strahlender Frühlingsmorgen. Die Luft ist frisch, fast schneidend, doch das Sonnenlicht flutet den Bahnsteig des kleinen Bahnhofs, der wie ein Balkon über dem Waadtländer Jura thront – wie ein Gemälde in zarten Grüntönen und himmelblauem Licht. Ich stehe dort, am Beginn eines neuen Kapitels, bereit, mein Heimatdorf zu verlassen und nach Luzern zu ziehen. Mein Herz schwankt sanft: da ist die tiefe Liebe zu meiner Region und meiner Familie, die süße Nostalgie der Wurzeln, die mich geprägt haben, und dieser vibrierende Funke von Aufregung über das Abenteuer, das vor mir liegt.

Mein Bruder und meine Schwester sind gekommen, um mich zu verabschieden. Sie überreichen mir ein Geschenk – einen Schatz voller Bedeutung. Mein Bruder, ein talentierter Uhrmacher, hat eine alte Uhr für mich restauriert, ein Stück Vergangenheit, das in neuem Glanz erstrahlt. Meine Schwester hatte sie zufällig entdeckt, vergessen, in einer staubigen Ecke der Werkstatt unseres Vaters – eines leidenschaftlichen Schmieds, dessen Hände dem Metall Leben einhauchten. Schon beim ersten Berühren spürte sie eine besondere Energie, als würde diese Uhr eine schlummernde Geschichte in sich tragen. Gemeinsam haben sie sie wieder zum Leben erweckt, jedes Detail sorgfältig poliert, um daraus ein Symbol zu machen: eine Erinnerung an meine Herkunft, eine stille Einladung, hin und wieder dorthin zurückzukehren, wo alles begann.

In das Gehäuse ist ein filigraner kleiner Drache eingraviert, der sich um ein Zahnrad windet – seine geschwungenen Linien erinnern an einen zeitlosen Wächter. Diese Uhr ist nicht nur ein Gegenstand, der Sekunden misst; sie verkörpert meine Träume, meine Wurzeln, alles, was ich in meiner Seele trage. Vor allem der Drache – er ist eine vertraute Präsenz, ein stiller Begleiter, der scheinbar schon immer über mich gewacht hat.

Ich stelle meinen Koffer auf einen freien Sitz im fast leeren Waggon, halte meine Spieluhr fest an mich gedrückt, die Kamera über der Schulter, die Uhr wie ein Amulett an einer Kette um meinen Hals. Ich lasse mich in dem alten Zug nieder, der heutzutage kaum noch genutzt wird – doch an diesem Tag ist er ausnahmsweise im Einsatz, um mein Dorf mit dem großen Bahnhof in der Ebene zu verbinden.

Das abgenutzte Holz der Sitzbänke und der Geruch von gealtertem Eisen erfüllen die Luft mit einer sanften Melancholie. Durch das Fenster fange ich ein letztes Bild des Juras ein. Ein Sonnenstrahl durchdringt die Zweige einer Tanne, und im Sucher meiner Kamera erscheint ein goldener Schimmer – fast unwirklich – genau dort, wo das bloße Auge nichts erkennen kann. Mein Blick hat schon immer Dinge erfasst, die anderen entgehen, eine Sensibilität, die ich mit meiner Schwester teile – auch sie ist von unerklärlichen Gaben berührt. Als sie mich vor der Abfahrt umarmte, flüsterte sie mir zu: „Diese Uhr wird dich viel weiter begleiten, als du dir vorstellen kannst.“

Ich lächle, mit leichtem Herzen, bereit, ins Unbekannte zu springen.

Der Zug setzt sich ruckelnd in Bewegung, und das regelmäßige Ticken der Uhr vermischt sich mit dem Grollen der Räder auf den Schienen – wie ein mechanischer Herzschlag. Dieser alte Zug singt seinen eigenen Refrain, ein ta-dam, ta-dam, geboren aus den Zwischenräumen der Gleisabschnitte. An jeder Schienenverbindung schlagen die Räder auf, erschaffen einen lebendigen Rhythmus, eine Melodie aus Stahl, die die Gedanken wiegt. Der Waggon schwankt sanft von links nach rechts – wie ein beruhigender Tanz, der zum Träumen einlädt oder Erinnerungen wachruft.

Dieses Geräusch, diese Bewegung – sie sind mehr als nur eine Reise; sie sind ein Fragment der Ewigkeit, eingraviert in die Seele. Die heutigen Züge gleiten lautlos dahin, doch dieses ta-dam, ta-dam klingt noch immer in mir nach – ein Echo einer Zeit, in der jede Reise eine Geschichte trug.

In diesem bewegten Kokon, gewiegt vom Gesang der Schienen, denke ich an mein Dorf zurück. Seine stillen Gassen, das Flüstern im Wind, die einfachen, aber tief verwurzelten Traditionen webten friedliche Tage – wie ein weicher, vertrauter Stoff.

Ich hatte nie wirklich vor, fortzugehen – man sollte niemals „niemals“ sagen!

Diese Berge, diese Tannen, jene Augenblicke, in denen die Zeit stillzustehen schien – all das hielt mich fest, tief in meinem Herzen verankert. Doch das Leben hat, wie dieser Zug, seine eigenen Pläne, seine eigenen Ziele. Und während die Landschaft an mir vorbeizieht, spüre ich: Diese Abreise ist kein Ende, sondern ein Versprechen – das Versprechen, mein Dorf mit mir zu tragen, in der Uhr, die gegen meine Brust schlägt, in jedem Bild, das ich der Wirklichkeit entreiße, in all den Andersorten, die ich noch erfinden werde.

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