1.5 Umzug nach Luzern 

Ich komme am Bahnhof Luzern an, und sofort steigt mir ein Duft in die Nase: eine Mischung aus erhitztem Eisen von den Gleisen, frischem Brot aus den umliegenden Bäckereien und einer Spur Feuchtigkeit – vom nahegelegenen Vierwaldstättersee. Der Bahnhof, majestätisch, vereint Vergangenheit und Gegenwart. Sein hellgraues Steintor – ein Überbleibsel des Gebäudes von 1896, das den Brand von 1971 wie durch ein Wunder überstanden hat – erhebt sich wie ein Wächter der Zeit. Es zu durchschreiten bedeutet, in eine andere Dimension einzutreten, zwischen Gestern und Heute.

Ich blicke nach oben auf die Glas- und Stahlarchitektur, die in den 1990er Jahren von Santiago Calatrava neu gestaltet wurde. Dieser moderne Bogen flüstert dennoch die Geschichte der ersten Dampflokomotiven von 1856, als Luzern zu einem alpinen Verkehrsknotenpunkt wurde. Die Schritte hallen auf dem polierten Boden wider, die Durchsagen auf Schweizerdeutsch schweben durch die Luft. Am Ausgang funkelt das KKL Luzern wie ein Juwel am Wasser. Ein Werk von Jean Nouvel, erbaut zwischen 1995 und 2000, scheint dieses Kulturzentrum zu schweben. Sein Kupferdach erstreckt sich über den See wie eine poetische Geste.

Ich überquere die Wasserkanäle, die das Gebäude in drei Flügel teilen: den Konzertsaal – berühmt für seine von Russell Johnson entworfene Akustik –, die Lucerne Hall und das Kongresszentrum mit seinem Kunstmuseum. Die verglasten Fassaden fangen die umliegenden Gipfel ein, und der Duft von Süßwasser vermischt sich mit dem Kaffeeduft, der aus der Bar Le Piaf entweicht, wo man Espressi mit Blick auf den See genießt.

Auf dem Weg zu meiner neuen Wohnung komme ich an der Jesuitenkirche St. Franz Xaver vorbei, einem barocken Juwel, erbaut zwischen 1666 und 1677, der allerersten ihrer Art in der Schweiz. Ihre beiden weißen Türme, gekrönt von grünen Kuppeln, spiegeln sich in der Reuss. Ein Duft von Weihrauch entweicht durch die angelehnte Tür und hüllt mich in eine heilige Sanftheit. Das Innere, strahlend mit Fresken und goldenen Altären, lässt mich sprachlos zurück. Diese Wände, wie die bemalten Fassaden, die Lukas mir beschrieben hat, flüstern Jahrhunderte der Geschichte.

Ich stelle meine Koffer in einer kleinen Wohnung mit Holzläden ab, nur wenige Schritte von der Reuss entfernt, deren Wasser unter der Kapellbrücke glitzert. Mein neues Leben verankert sich in einfachen Ritualen: die vertraute Geste, das Zifferblatt meiner Uhr zu streicheln, dieses mit einem Drachen verzierte Amulett, das mir mein Bruder geschenkt hat – ein Miniaturecho der alpinen Legenden.

Ich habe eine Stelle im Old Swiss House gefunden, einem legendären Fachwerkrestaurant in der Nähe des Löwendenkmals. Seit 1859 machen seine polierten Holzvertäfelungen, alten Gravuren und Fenster mit Blick auf den Park es zu einer Zeitkapsel. Dieser Ort erzählt von den Reisenden vergangener Zeiten, den großen Alpenüberquerungen. Was ihn einzigartig macht, ist das Ritual des Wiener Schnitzels, das am Tisch in einer rauchenden Pfanne goldbraun gebraten wird, vor den staunenden Augen der Gäste. Die Butter zischt, der lokale Weißwein verströmt sein Aroma, die knusprigen Rösti bilden den krönenden Abschluss. Die Gespräche schweben, auf Schweizerdeutsch, Französisch, singendem Italienisch. Ich serviere zarte Egli-Filets und füge mich in dieses lebendige Ballett ein, aufmerksam für die Geschichten, die die vorbeiziehenden Reisenden flüstern.

Nach dem Dienst entfliehe ich oft zum Gletschergarten, einem Ort zwischen Geologie und Poesie. Eröffnet 1873, zeigt er die Narben, die die Gletscher vor Jahrtausenden in Luzern hinterlassen haben. Ich gehe zwischen polierten Felsen, in der Zeit eingefrorenen Fossilien, Höhlen, in denen Wasser langsam tropft und die Luft mit einem mineralischen Duft erfüllt. Das unterirdische Labyrinth, gesäumt von verzerrenden Spiegeln, entlockt mir ein Lächeln, aber die Tafeln bringen mich zum Wesentlichen zurück: die stille Kraft der Alpen.

Im Zentrum des Gartens thront ein nachgebautes Alpenchalet, dessen altes Holz den Duft vergangener Berge verströmt. Ich setze mich auf eine Bank, die Uhr an meine Brust gedrückt. Sie glitzert sanft. Ich habe das seltsame Gefühl, dass die Erde flüstert, dass der Pilatus in der Ferne mich anschaut.

Ein wenig weiter zieht mich das Löwendenkmal an. 1821 von Lukas Ahorn nach einem Entwurf von Bertel Thorvaldsen gemeißelt, ehrt es die in den Tuilerien 1792 gefallenen Schweizer Garden. Der sterbende Löwe, von einer Lanze durchbohrt, bewegt mich jedes Mal. Mark Twain nannte es „den rührendsten Stein der Welt“. Ringsum riecht die Luft nach Humus, feuchtem Gras, der Schwere der Stille. Man erzählt, dass Thorvaldsen, unzufrieden mit seiner Bezahlung, die Nische in Form eines Schweins entworfen habe. Ich betrachte die Konturen: egal. Dieser Ort ist ein Heiligtum.

Ich setze meinen Spaziergang fort bis zum Bourbaki-Panorama, einem kreisförmigen Gebäude, das ein riesiges Gemälde beherbergt, 1881 von Édouard Castres gemalt. Zehn Meter hoch, einhundertzwölf Meter lang, zeigt es die Kapitulation der Ostarmee 1871, diese französischen Soldaten, durchgefroren, auf der Flucht vor den Preußen, die Zuflucht finden… im Waadtländer Jura, meiner Heimat. Les Verrières, Vallorbe, Sainte-Croix: ich kenne diese Namen auswendig.

Ich betrachte die Szenen – erschöpfte Soldaten, zusammengedrängte Kinder, jurassische Bauern, die Brot und Absinth reichen – und ich rieche den Duft von vereisten Tannen, den eisigen Winterwind in meinem Hals. Der staubige Geruch des Gebäudes verfliegt. Die Erzählungen meiner Großmutter kehren zurück, die rauchenden Schornsteine im Schnee, die Solidarität über Grenzen hinweg. Selbst hier, in Luzern, bringt mich dieses Panorama nach Hause zurück.

Ich gehe zu Fuß nach Hause. Die Pflastersteine glänzen unter den Laternen, die Reuss glitzert wie ein Sternenspiegel. Der Pilatus wacht. Und ich, zwischen der zeitlosen Seele des Old Swiss House, der Feierlichkeit des Löwendenkmals, den Geheimnissen des Gletschergartens und dem Echo meines Juras im Bourbaki-Panorama, fühle mich endlich… am richtigen Ort.

Luzern umarmt mich. Diese Stadt, mit ihren Brücken, Fresken, Steinen und Wassern, ist mein Zuhause geworden. Aber sie flüstert auch meine Wurzeln, den alten Atem der Täler, aus denen ich komme.

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