1.2 Das Museum der Spieldosen und Automaten

Véronique schloss die Augen, und die Erinnerungen strömten herbei – so lebendig wie die Lichtreflexe auf dem See am frühen Morgen. Sie sah sich wieder als Teenagerin in ihrem kleinen Dorf, eingebettet in die Höhen des Waadtländer Jura. Um ein paar Franken zu verdienen, erledigte sie verschiedene kleine Jobs: zusammen mit ihrer Schwester die Minigolfbahnen fegen, die Spiegel eines Coiffeursalons polieren, bunte Einmachgläser im Lebensmittelladen ordnen oder im Hinterraum einer Bäckerei putzen. Jede dieser Tätigkeiten war wie eine halbgeöffnete Tür zur Welt – doch erst am Ende ihrer Schulzeit, als sie das Museum der Automaten und Spieluhren betrat, durchfuhr sie ein Schauer der Ewigkeit.

Dieses Museum, mit seinen Vitrinen, in denen Figuren von der Präzision der Uhrmacherkunst zum Leben erweckt wurden, war ein Heiligtum mechanischer Poesie. Véronique, eine improvisierte Führerin, begleitete die Besucher durch diese Wunderwelt. Sie erzählte ihnen die Geschichte der Automaten – dieser aus Holz und Metall gefertigten Wesen, die der Zeit zu trotzen schienen. Besonders ein mechanischer Vogel faszinierte sie immer wieder: Eingeschlossen in einem goldenen Käfig, kaum größer als ein Spatz, entfaltete er Federn aus gefärbtem Hühnerkleid in Saphirblau und Karminrot. Wenn sie die kleine Kurbel an seinem Sockel drehte, erwachte der Vogel zum Leben: sein Kopf drehte sich, sein Schnabel öffnete sich, und ein klarer, fast lebendig wirkender Gesang erfüllte den Raum. Zweihundertfünfzig winzige Teile – Zahnräder, Federn, Bälge – wirkten in vollkommener Harmonie zusammen, ein Meisterwerk der Kunsthandwerker von Reuge. Es war mehr als ein Objekt: Es war ein Gedicht, eine gefangene Seele in einem Metallkörper, ein Echo der jurassischen Handwerkskunst, das Véroniques Herz zum Schwingen brachte.

Oiseau chanteur, Reuge

Doch ihr Liebling war und blieb der kleine Pierrot, der an einem Schreibtisch saß, in einem von Licht durchfluteten Winkel. Gekleidet in ein weißes Nachthemd und mit einer Schlafmütze, die ihm über die Schulter fiel, schrieb er – Feder in der Hand – einen imaginären Brief an seine Colombine. Wenn man seinen Mechanismus aktivierte, belebten sich seine aufgemalten Augen mit melancholischem Glanz, seine Hand kritzelte über das Papier, und eine alte Melodie – zwei zarte Weisen aus den Paillard-Werkstätten um 1890 – schwebte wie ein Seufzer durch den Raum. Jede Bewegung war ein Kunststück, ein Ballett aus Nocken und Hebeln, das zu flüstern schien: Die Vergangenheit ist nie weit. Für Véronique war dieser Pierrot mehr als ein Automat: Er war ein Hüter der Träume, ein Spiegel der romantischen Seele der Schweizer Täler, ein Abbild ihrer eigenen inneren Suche.

Le pierrot Sainte-croix

Eines Tages überkam sie ein Impuls.

Sie schneiderte sich ein Kostüm aus schwarzer und grüner Seide, durchwirkt von golden schimmerndem Stoff, schminkte ihr Gesicht in Weiß und Rosa und begann, im Takt einer Spieluhr zu tanzen – ruckartig, wie eine mechanische Puppe. Die Museumsbesucher blieben stehen, gebannt von der Szene.

Einmal fragte sie ein kleines Mädchen mit weit aufgerissenen Augen: „Bist du eine erwachte Puppenfigur?“

Véronique lachte, ihr Herz wurde leicht, doch die Legenden des Museums flüsterten eine andere Wahrheit: Von Vögeln, die sich lautlos in der Dunkelheit aus ihren Käfigen befreiten, von einem Pierrot, der unter dem Mond umherwanderte, und von Mechanismen, die nur zum Leben erwachen, wenn niemand hinschaut. War das wirklich wahr? Sie wusste es nicht. Aber tief in ihrem Inneren fühlte sie, dass diese Geschichten eine tiefere Wahrheit in sich trugen.

Während eines dieser Tänze wurde sie bemerkt. Ein Mann mit lachenden Augen war verzaubert von ihrer Darbietung. Er sprach von einer vibrierenden Menge, einem Straßenfestival, unter fernen Himmeln, wo ihr Tanz glänzen könnte. „Komm mit“, sagte er. „Nimm deine Spieluhr und dein Kostüm – und tanze.“ Mit klopfendem Herzen sagte Véronique ja. Zum ersten Mal verließ sie ihr Dorf – mit einem Koffer in der einen Hand und ihrer Spieluhr fest an sich gedrückt in der anderen.

Im alten Zug, der sie forttrug, klang das rhythmische „ta-dam, ta-dam“ der Schienen wie ein Flüstern: Das Abenteuer wartet. Doch sie spürte es: Diese Reise war mehr als ein Aufbruch.

Und getragen vom Wind, zwischen Waldgeistern und Berglegenden, ging Véronique Schritt für Schritt dem Unbekannten entgegen — geführt von etwas, das größer war als sie selbst.

Mime automate, festival de rue

Leave Comment

Votre adresse e-mail ne sera pas publiée. Les champs obligatoires sont indiqués avec *